Ich habe versucht, mir die ideale Aufführung des Violinkonzerts von Schönberg vorzustellen.
Als erstes ist auffällig, dass es keinerlei Beziehung zwischen Solist und Orchester gibt, sondern die
Violine alleine im Vordergrund steht als einzige zentrale Figur. Sie spielt dabei die Rolle eines
seltsamen Tierchens, eines Akrobaten – zugleich Mann und Frau –, der in einem nervös-aufgeregten
Zustand gleichzeitig mehrere schwindelerregende, tödliche Tricks vollführt (das Orchester spielt
dabei die Kulisse, wie sie das Publikum im Zirkus oder Kabarett darstellt und steht wohl
stellvertretend für die engeren und weiteren Kreise einer dekadent- bürgerlichen Kultur).
Sucht man nach einem Künstler, der paradigmatisch für die Ästhetik einer Epoche steht, so findet
man ihn in Schönberg als Vertreter des Expressionismus.
In dem Violinkonzert entfaltet sich alles in einem künstlichen Raum, etwa einer fantastischen Stadt
mit künstlichem Licht und künstlicher Luft, der Zeit entrückt. Und selbst das Gefühl, sich inmitten
eines Alptraumes zu befinden, scheint nicht echt, sondern aufgesetzt und konstruiert.
Die wilde Emotionalität dieses Violinen-Akrobaten, die sich von einem Höhepunkt zum nächsten
zugleich erotisch wie aggressiv hoch- schaukelt ohne das leiseste Zeichen einer Zäsur noch eines
erkennbaren Zeichens einer wie auch immer gearteten Botschaft außer dem der Ekstase selbst, ist
durch und durch künstlich. Mein Eindruck ist, dass dieser Held des Konzerts – das Opfer, der
Peiniger, das Objekt des Kultes, das Objekt des Hasses – in keinem Zuge atmet: er ist hölzern,
leblos, rein artifiziell.
Ohne Zweifel hat Schönberg hier eine ganz eigene, besondere Welt geschaffen. Sein Konzert lässt
sich mit kaum einem anderen musikalischen Werk vergleichen. Und es lässt sich durchaus sehr
effektvoll auf- führen. Wie generell bei Schönbergs Musik wäre es entscheidend, sich mit dem
Sprechgesang auseinander zu setzen. Alle Melodien, Phrasen und Motive sind immer entweder
äußerst konkret und äußerst sprechend, mit allen denkbaren Nuancen wie Flüstern, Schreien,
Kichern, derben Geräuschen usw., angefüllt mit allerlei Gesten lebensriskanter akrobatischer Tricks
am Rande des psychischen wie physischen Sturzes.
... Eigentlich kann ich sehr gut nachvollziehen, wie diese Musik faszinieren kann, bleibe aber doch,
wenn ich ehrlich bin, letztlich distanziert und gleichgültig, denn am Ende scheint sie mir alles in
allem nicht mehr als dekorativ... Dieses Konzert mit allen seinen Ausdrucksmitteln zielt ganz auf
die bewusste Wahrnehmung. Alles in ihm soll bewusst gehört, bewusst erkannt, innerlich benannt
und bewusst verarbeitet werden, um anschließend dieses Bewusstsein zu schockieren.
Musik wird aber nicht durch das Bewusstsein verstanden...