Boris Yoffe English Deutsch Русский
RAUM DER ZEIT

Es ist nicht so, dass Venedig dem Paradies ähnelt, aber es ist das Modell des Paradieses, die
Erfahrung einer Auseinandersetzung mit dem Paradies, seinem Erwerben und seinem Verlust,
einer Dazugehörigkei, eines Rechts auf es – und seiner Unerreichbarkeit.
Es ist die gleiche Erfahrung, die sich im tonalen System manifestiert, wie es sich in der Musik
von deutschen Komponisten verkörpert: Bach, Haydn, Mozart, Schubert, Schumann,
Bruckner, Berg …
In diesen beiden Fällen geht es um die Vorstellung eines vollkommen strukturierten Raumes,
in welchem die Bewegung sich nicht auf der tragischen Achse Vergangenheit-Gegenwart-
Zukunft entfaltet, sondern so, dass alles, was der Bewegung und Veränderung preisgegeben
werden soll, sich doch gleichzeitig bewahren kann, nicht verloren gehen muss. Ein
Raum, der so konstruiert ist, dass die Menge aller beweglicher Varianten in einer kontinuierlichen
– unbeweglichen, außer-zeitlichen Beziehung mit der Invariante, der Idee, dem Wesentlichen
bestehen bleibt.
Dieser Raum ist in Venedig visuell gegeben, in der Musik aber auditiv, als Zeit. Und in beiden
Fällen kann sich dieser Raum nur in einer individuellen und entsprechend gebildeten
Wahrnehmung entfalten, als Gegenstand einer Beobachtung. Ohne eine kreative Wahrnehmung,
die sich im spannungsvollen Prozess des Selbsterkennens befindet, existiert weder
dieses komplexe System noch dessen Elemente, so wie ohne einen Leser existiert weder der
Sinn von den hier stehenden Wörtern, noch diese Wörter selbst als solche. Somit orientiert
sich dieses System, das man sich als etwas Äußerliches, von der Wahrnehmung Unabhängiges
vorstellen kann, vollkommen an der Wahrnehmung, ist sein Abdruck.
… Vielleicht war es falsch, die Seele innerhalb des Körpers zu suchen – und sie ist etwas,
das scheinbar in einer äußerlichen, zufälligen Beziehung zu ihm steht?
Jeder kulturelle Mythos, jedes Modell der Welt und des Menschen muss sich mit der Tatsache
abfinden, dass der Mensch, wie er sich auch empfinden und definieren mag, nicht
gleichzeitig an mehreren Orten sein kann. In der europäischen Kultur folgt aus dieser Tatsache
die Vorstellung einer Wert-Hierarchie der Augenblicke: Eine Reihe von unwichtigen Peripherie-
Momenten wird zu einer Kette, die zu einem wichtigen Ereignis führt, dieses vorbereitet.
Die Ereignisse werden im Gedächtnis aufbewahrt als eine Vorstellung über die
Vergangenheit, werden interpretiert und mythologisiert in ihrem Status einer Quelle und Erklärung
der Gegenwart. Selbst bei maximaler Wertschätzung bleibt diese Vorstellung (die
Vergangenheit) in ihrer Bewertung weit hinter der Zukunfts-Vorstellung, einer Vision vom
endgültigen Ziel und der Rechtfertigung alles Geschehens, zurück. Die Zukunft ist so etwas
wie ein höchst wünschenswerter kontinuierlicher Zustand der Harmonie und Ruhe, ein letzter
und auflösender, bleibender Augenblick. … Es gibt aber in keiner Symphonie etwas Unbedeutenderes
und Leereres als ihr abschließender Akkord, zu dem die gesamte Bewegung
hinströmt.
Alle sozialen Systeme, vom Bildungs- bis zum Rechts-System, bemühen sich um die Unterstützung
der Vorstellung einer Vergangenheits-Gegenwarts-Beziehung und postulieren die
Überlegenheit der Zukunft; jede Dummheit und jede Grausamkeit kann durch den Appell an
die zukünftigen Früchte gerechtfertigt werden, wobei diese Zukunft zugleich ein Lohn für
alle Anstrengungen und ein wunderbares Geschenk ist.
Eine Linie mit einem unbestimmten Anfang hat kein Zentrum, kann aber ein Ende haben …
Dabei versteht man zwar den Tod als das einzige ganz sichere unter den Ereignissen der Zukunft,
hebt ihn aber als einen individuellen Fall in der Vorstellung einer gemeinsamen Zukunft
wieder auf, einer Zukunft, die diesen Einzelfall rechtfertigen - vielleicht auch unwirksam
machen - kann.
Eine Alternative des linearen Modells ist selbstverständlich das zyklische Modell, das Bewegung
und Änderung nicht auf einer Geraden darstellt, sondern aus einem Zentrum (unendlich
kleiner Punkt) zur Peripherie gerichtet. Beide Modelle sind mit der Vorstellung von
Objektivität verbunden, einer für alle gemeinsamen Realität, über die auch ein objektives
Wissen möglich ist. Beide dienen als Fundament der Kultur als ein System von Mythen und
Ritualen und beanspruchen axiomatisch zu sein – wenngleich sie sich aber doch einer individuellen
kritischen Beobachtung nicht ganz entziehen können.
Venedig und die tonale Musik sind dagegen prinzipiell un-axiomatisch, gehen von einem
individuellen Beobachter aus, sie leben, entstehen nur im Moment der individuellen Wahrnehmung.
Das Modell, das sie realisieren, ist zwar zyklisch, konzentrisch, hat aber nicht nur
ein Zentrum, sondern … es ist unmöglich zu wissen, wieviele, weil die Wahrnehmung, die
sich immer nur in einem von vielen Zentren befindet – oder auf dem Weg von einem zum
anderen, in Gravitationsfeldern von mehreren Zentren – nie das ganze System überblicken
kann. Man geht im tonalen System – bedingt – von zwölf Zentren aus; so werde ich unten
auch ein symbolisches Dutzend venezianischer Zentren aufzählen. Also zwölf (oder mehr,
niemand weiß es) Punkte, die jeder ein Zentrum des Systems ist, d. h. alle drehen sich quasi
um alle, und alle Gravitationsfelder sind gleich stark.
Der Realisierung dieses Modells ist die gesamte tonale Musik gewidmet – wie eine Einheit
–, wobei das so gewichtige Beethovensche lineare Modell in der Musik doch in das polyzentrische
System eingebettet wird: ohne das Spiel tonaler Gravitationen, Modulationen, ist
dieses Modell nicht lebensfähig, und das Erreichen einer endgültigen Tonika am Ende eines
Stückes ist nur etwas Bedingtes, ein Gattungselement aus dem Blickpunkt eines breiteren
Kontextes (z.B. einem Zyklus oder ganzem Konzertprogramm). Nicht umsonst wird Wagners
Musik zur Erweiterung der Beethovenschen Linearität: Wagner, in dessen mehrstündigen
„Durchführungen „eine Haupttonika untergeht, sich verliert, und die Linie von Anfang
bis Ende sich in eine bewegliche Fläche verwandelt, wie die Oberfläche eines Ozeans.
Eine vollkommene Klarheit erreicht das tonale System in den Symphonien Bruckners. Hier
endet die Eroberung des tonalen Raums, deren Anfang Bach so deutlich deklariert hat.
Bruckners Harmonik setzt voraus, dass jede Tonart sich in jedem Moment als Tonika entpuppen,
zu einem Wahrnehmungs-Zentrum werden kann. Dabei erlebt man unmittelbar alle
komplexen Beziehungen, die die Tonarten miteinander verbinden (seien es die auf den
Quintenzirkel bezogenen funktionellen, parallelen, enharmonischen oder solche, die mit einer
Tonlage-Verschiebung zu tun haben), wie Gravitationsfelder unterschiedlicher Krümmungen.
Bruckner schafft auch eine völlig eigenartige Form, die eine Synthese zweier Gegenpole
ermöglicht: die des Dynamischen und des Statischen –, und die somit nicht nur eine maximal
adäquate Realisierung des tonalen Raumes darstellt, sondern selbst zu einem metaphysischen
Modell wird, in dem die Gegensätze von Linearem und Zyklischem, Ewigem und
Zeitlichem aufgehoben werden. Die Bewegung in den Symphonien Bruckners findet zwischen
den Themen-Expositionen statt, wobei die Themen als ewige, unbewegliche Ideen
konzipiert werden (in einem anderen Essay vergleiche ich sie mit den Aspekten, Antlitzen
des Göttlichen, wie z. B. das strenge Gericht, die Milde, die kindliche Reinheit …). In jeder
Symphonie gibt es in der Regel zehn solcher Themen (ein Vergleich mit der kabbalistischen
Lehre liegt nahe), die genauso – jedes für sich! – die Zentren der Form sind, wie die zwölf
(oder mehr) Toniken – Zentren des tonalen Raumes.
Freilich ist die Bewegung von einem Thema zum anderen linear, als eine Folge, aber die
Form ist so aufgebaut, dass man den Eindruck einer All-Gleichzeitigkeit bekommen kann
(um das Auffallendste zu nennen – nicht umsonst erscheint ein Hauptthema des ersten Satzes
am Ende eines Finales wieder). Die geistig-materielle Raumzeit, die als außer-zeitlich,
all-gleichzeitig gedacht wird, in einem Punkt, einem Augenblick gegeben, entfaltet sich in
der Zeit, um der menschlichen Wahrnehmung gerecht zu werden.
Form und Harmonik sind untrennbar und realisieren das gleiche Modell, jedes auf seiner
eigenen Ebene; das gilt auch für Bach, Haydn, Mozart oder Schubert, aber die Brucknersche
Einheit des Statischen und Dynamischen im Pan-Zentrismus scheint im venezianischen
Raum ein genaues Pendant zu haben.
… Um dieses Modell wirksam zu machen, sind, erstens, nicht irgendwelche Themen nötig,
sondern nur solche, die in ihrer Klarheit, Schönheit, Komplexität und Einfachheit unübertreffbar
sind, solche, die wirklich zu Zentren der Form werden können. Und zweitens soll
die Harmonik tatsächlich die ganze Fülle an komplexen Beziehungen innerhalb des tonalen
Systems greifbar, spürbar machen, ansonsten fällt das System auseinander, wie in einer Inflation,
in der die tonalen Beziehungen an ihrem Wert verlieren (so z. B. in dem beliebigen
Flackern der Tonarten bei Richard Strauss). Mit dieser Inflation ist auch die angebliche Krise
des Tonalen verbunden (eigentlich ist es eine Krise in der Wahrnehmung von tonalen
Gravitationen), die bis heute einen Ausweg entweder im Aufbau verschiedenster modalen
Systeme sucht oder in der Ästhetik der rein akustischen Wirkung (anstatt der spekulativen
Einheit von Form, Harmonie und Material).
Tonale Zentren, die an sich alle gleich sind, werden nur im Kontext belebt, individualisiert,
als Teil des Systems, und nur zusammen mit der Bewegung (Atem, Maß, Veränderung) der
Form und Individualität des Materials (Themen, Texturen als komplexe Einheiten bzw. ideale
Wesen).
Mit einem oberflächlichen polyzentrischen Modell (alle Zentren drehen sich um jedes und
um alle) könnte man dies vielleicht durchaus illustrieren, und die beste verbale Formel
stammt von Nikolaus von Kues: Eine Kugel, deren Zentrum überall und ihre Peripherie nirgends
ist.
Sich mit dem Modell unmittelbar auseinandersetzen, es verstehen, kann man nur entweder
beim Musizieren (Spielen, Hören oder Komponieren), oder sich in dem durchsichtigen Labyrinth
Venedig bewegend, unter der Anziehungskraft des einen oder anderen ihrer Zentren.
1. Das intime, warme, unoffizielle Zentrum Venedigs scheint mir die Kirche San Giacomo
dall’orio zu sein (eventuel „des Lorbeers“), mit ihren beiden fremden Säulen, die so -
scheinbar beliebig - die Farbenskala erfrischen, mit der alten hölzernen Decke, die in dieser
Kirche besonders überzeugend das Gefühl vermittelt, wir wären hier tief im Inneren eines
Schiffs zu sein. Die Strahlen des verklärten Kruzifix von Paolo Veneziano, das in der Mitte
hängt, scheinen alle Antlitze in allen venezianischen Kirchen zu beleuchten… Einen kleinerer
Kreis bilden die Arbeiten von Palma Giovane, dessen Werke praktisch in jeder Kirche zu
finden sind: in San Giacomo kann man seine besten Bilder sehen, die dem Schrecklichen
gewidmet sind -, darunter das Martyrium des heiligen Laurentius (eine Art „Subdominante“
im Bezug auf Tizians - Palmas Lehrers - Laurentius aus der Jesuiten-Kirche). Und die zentrale
Achse, die diese Kirche mit zwei anderen quasi direkt verbindet, ist das Altarbild von
Lorenzo Lotto (es scheint, die Bilder von Palma spiegeln Lottos existenziellen Kummer wider).
Eine Sacra conversazione - voller Kummer und Spannung, wo die Blicke der Protagonisten
sich in einem Kreis bewegen, in dem sich auch der Blick des Zuschauers - als eine
Vollendung der Komposition - mit eingeschossen ist. Der Heilige Andreas drückt sein Kreuz
an sich, fast angstvoll, als Schutz von dem sich nahernden Gewitter; der Horizont ist bedrohlich
hoch, und das Kind scheint gleich von dem Schoß der Jungfrau abzurutschen.
1. Eine hölzerne „Schiff“-Decke von San Giacomo, die Form seiner Kapitelle, das Nebeneinander
von Spitz- und Rund-Bögen, eine Seitenkapelle mit einer eigenen Architektur
(auch mit einer eigenen Kuppel, im Stile von optischer Täuschung bemalt), komplex geteilter
Innenraum, der Boden, die Sujets und ihre Interpretationen in den Bildern -, zu alldem
findet man mannigfaltige Entsprechungen in den Venezianischen Kirchen, Spiegelungen,
Variationen, Repliken. Wenn der heilige Laurentius eine Verbindung zu der Jesuiten-Kirche
herstellt, so gibt es eine noch viel direktere und stärkere Verbindung zu den beiden Kirchen,
die Meisterwerke von Lorenzo Lotto beherbergen: Santi Giovanni e Paolo, auch eine „Zentrum-
Kirche“, und die Carmini, auf jeden Fall auch eine Art Knoten, der durch viele Fäden
mit zahlreichen Orten in der Stadt verbunden ist. Als Dominante von San Giacomo würde
ich aber die Kirche San Giovanni in Bragora nennen, allein schon wegen ihrer Nähe in Stil,
Stimmung, Bedeutung. Es ist auch ein eher intimer, inoffizieller Raum ohne große Ansprüche,
dessen Innenraum in seiner traditionellen Drei-Schiff-Teilung deutlich einfacher und
übersichtlicher als die „Höhlen“ von San Giacomo (aber sie ist ja doch auch ein Schiff!) -,
andererseits überwältigt diese kleine Kirche mit der Anzahl und Qualität der Meisterwerke,
die zu ihr gehören. Und an erster Stelle geht es hier um die Verbindung zwischen den beiden
Altarbildern, eine Art „Erbfolge“ zwischen Cima da Conegliano und Lorenzo Lotto. Lottos
Unruhe, Kummer, Spannung sind quasi funktionell anhängig von der Ästhetik Cimas, seinem
metaphysischen Kummer, beziehen sich auf sie. Auf einer Seitenwand in San Giovanni
in Bragora hängt ein weiteres Bild von Cima: einen größeren Kontrast als die Dissonanz
zwischen der groben Einfachheit des Kreuzes und der Pracht der stolzen Weltherrscher,
Konstantin und Elena, die sich diesem rohen Stück Holz unterworfen haben, findet man in
ganz Venedig nicht. Und das berühmte Altarbild… wer es gesehen hat, wird für immer sein
durchsichtig blaues Licht in seiner Seele bewahren. Das Bäumchen hinter dem Rücken des
Täufers lebt, im Gegensatz zu dem Baum, den man auf der linken Seite des Bildes sieht, da,
wo die drei allegorische Figuren die Gewänder Christi halten: er hat sie abgelegt - den Geist
der Materie vorgezogen - und die Farben des Bildes begannen zu leuchten.
…Eine Madonna von Alvise Vivarini aus dieser Kirche ist wie eine Vorahnung seines anderen
Meisterwerks, das sich hinter einem speziellen Türchen in der Sakristei von Il Redentore
versteckt - der Kirche, die ein Mal im Jahr, am dritten Sonntag im Juli, zum offiziellen Zentrum
Venedigs, einem Pilgerort, wird.
1. Johannes der Täufer aus San Giovanni in Bragora zeigt… auf seine eigene Dominante:
ein brennender Geist in einem Körper, der zu schmelzen scheint, die Skulptur Donatellos
aus der Frari-Kirche (man erkennt diesen Johannes immer wieder, mal auch auf der Straße,
als Massimo Cacciari). Das wunderschöne Gebäude scheint selbst mit diesem Körper verwandt
zu sein, durch welchen die Seele zu erblicken ist. …Weiche Wellen der Fassade in
ihrer plastischen Bewegung, die Leichtigkeit des Gewölbes, das scheinbar weder Säulen,
noch Balken braucht (vielleicht auch keine Wände?) -, es gibt hier so viel Raum und Licht!
Tiziano, der so irdisch, so materiell war, aber eben auch so unendlich nüchtern und all-sehend,
war voll Demut vor dieser Kirche: sein Meisterwerk, Assunta, schuf er so, dass sie
nicht die Schönheit der Gotik stören durfte. Das Grab Tizians ist hier, das Grab Monteverdis,
aber auch das Grab des stolzen Dogen Foskari, von couragierten Kriegern bewacht -
und die Engel halten den Vorhang, damit die Menschenmassen seine Ruhe nicht stören. Im
Grabmal des Dogen Nikola Tron, gegenüber Foskari, kann man mit einem Blick den ganzen
Weg eines Menschen erfassen, der würdevoll gelebt hat und gestorben ist, und nun in der
Stille auf die vom Erlöser versprochene Auferstehung wartet.
Die Frari ist ein Zentrum der Stadt, das man einfach und schnell aus jeder Ecke erreichen
kann, und doch ist es manchmal schwer für jemanden, der sich nicht auskennt, sie zu finden.
Hat man die Kirche erreicht und ist auch zu ihrem Zentrum durchgedrungen - dem Triptychon
von Giovanni Bellini - muss man plötzlich stehen bleiben wie vor einem unsichtbaren
Hindernis: Der heilige Benedikt hält dich mit seinem Blick fest. Das Buch in seiner Hand ist
offen und zu dir gedreht: lies - aber du kannst nicht… Die Madonna scheint von einer Stille
umwölbt zu sein, das ist aber nur unserer Taubheit geschuldet: sie hört gewiss die Musik der
Laute und der Flöte. Das dritte Kind auf dem Bild - neben den beiden musizierenden Engeln
- der Gipfel des kompositorischen Dreiecks, Zentrum der Horizontalen und selbst eine Vertikale
- steht in einer etwas trotzigen Pose, an ein Lämmchen erinnernd.
1. Bei aller Komplexität und Vieldeutigkeit der Beziehungen innerhalb des tonalen Systems,
bei der prinzipiellen Wechselbarkeit der Tonika, gibt es eine Tonart, die - aus dem Sichtpunkt
der tonalen Semantik - als eine Art Urtonika wirkt. Genauer, es sind zwei Tonarten,
die sich nebeneinander befinden, einander durchscheinend, einander ausschließend… C-Dur
und d-Moll. Die ganze Menge an Bedeutungen, Assoziationen, Farben, die jede Tonart
weckt, entsteht aus dem Vergleich zu diesen - beiden! - „Urtoniken“, auf deren Hintergrund.
So sind auch die beiden venezianischen Zentren nebeneinander und einander ausschließend.
Die radikale, ideale Einfachheit des Dogenpalasts (nach John Ruskin - das schönste Gebäude
der europäischen Zivilisation), die unerhörte, unwiederholbare Gewagtheit, Originalität
der Architektur vom Schweben, In-Der-Luft-Hängen, Umgedreht-Sein, die wunderbare Balance
zwischen Gleichmäßigkeit (man denke nur an das schimmernde Ornament der farbigen
Ziegelsteine oder den Rhythmus der Galerie) und der Symmetrie-Verletzung (die Fenster,
die beiden roten Säulen, die Mannigfaltigkeit der Kapitele) - auf der einen Seite. Und
auf der anderen - im Gegensatz zur gotischen Einheit der Fassade des Palazzo – die berauschende
Eklektik der Fassade der Basilika San Marco, eine Mischung aus byzantinischem
Klang der Ewigkeit, unnachahmbarer Poesie byzantinischen Dekors, festlicher ausgesuchter
Gotik - und dummer akademischer Tautologie-Ästhetik… Die Basilika ist das rein Zyklische,
das Sich-Drehen, und der Palast - die freie Bewegung im offenen Raum.
Die Pracht der Innenausstattung des Dogenpalasts verliert fast gänzlich an seiner Wirkung
neben der Schönheit der Fassade. Das dunkle Gold des Inneren der Basilika dagegen nimmt
dich auf und lässt nicht mehr los.
1. Zwei einander ausschließende Stile nebeneinander, auf dem gleichen Platz, und nur einige
Schritte entfernt - das Zentrum, in dem zwei andere geradezu feindliche Gegensätze es
schaffen, zu einander zu finden, miteinander zu sein. …Wenn Tizian seine Assunta so schuf,
dass er die Schönheit der Gotik nicht stören wollte, so baute Mauro Codussi die Kirche San
Zaccaria mit dem Vorhaben, ihren gotischen Ursprung noch hervorzuheben, für immer
strahlen zu lassen. In der Mitte des wunderbar gestalteten Renaissance-Raums stellt Codussi
den Altar als einen eigenständigen Bau - mit ausgeprägten gotischen Elementen (es wird
auch fast genau das Muster eines der Frari-Fenster zitiert). Das ist die Venezianische Lehre,
die der Rest Europas nicht verstanden hat: das Neue ist nicht besser als das Alte!
Die andere Anziehungs-Linie mit Frari ist die Sacra Conversazione Bellinis. Eine weitere
nicht erhörte Lehre: schaut hin, die Gesichter auf dem Bild scheinen alle gleich zu sein, und
jedoch ist es nicht das Fehlen der Individualität… Es ist das Überwinden des Individuellen,
Befreiung von der Achse der Zeit, Kommunikation ohne Interaktion, Verstehen jenseits der
Sprache.
1. So wie die Basilika und der Palazzo Ducale unvereinbar und untrennbar sind, so gegenseitig
und eng verbunden sind die Kirchen Frari und San Zanipolo (Santi Giovanni e Paolo)
-, so, und doch ganz anders, denn die Dominikaner haben ihre Kirche bewusst als eine Antithese
der Minoriten-Kirche (also Frari) gebaut. Der Ort, an dem sich San Zanipolo befindet,
ist auch eine Art Alternative - dieses Mal zum San-Marco-Platz: Neben der Kirche steht die
wunderbare Scuola San Marco, und auf dem Campo vorne – das berühmte Denkmal des
Banditen Colleone. Dieser Condotiere hatte sein riesiges Vermögen (Resultat vielen Jahren
Raub) in seinem Testament der Serenissima überlassen - unter der frechen Bedingung: man
solle ihm ein Denkmal vor San Marco stellen. Nach langem Hin und Her haben die Venezianer
seinen Willen verwirklicht, nur eben vor dem falschen San Marco (Scuola statt Basilika).
…Die Ingenieure von San Zanipolo haben die gleiche Lösung für den Bau verwendet wie
die Architekten der Frari, wohl die einzig mögliche auf hiesigem schwachen Grund: eine
leichte Mauer aus Ziegelsteinen, massive Säulen, Holzbalken. Wunderschön sind die gotischen
Konturen der großen, hellen Fenster in der zentralen Apsis, die Seitenkapellen… Erstaunlich
ist jedoch der Unterschied in der Stimmung, der Atmosphäre der beiden Kirchen.
San Zanipolo scheint schweigsam, streng, nordisch, vielleicht gar etwas unfreundlich zu
sein. In erster Linie ist die Kirche eine Art Totenreich, Mausoleum zahlreicher Dogen. Die
gotischen Grabmäler wechseln sich mit den Renaissance-Grabmälern ab, sie ergänzen einander,
ähnlich wie das Renaissance-Portal mit seinem Wellen-Schaum die gotische Fassade
schmückt. Das Paar San Zanipolo - Frari schafft einen eigenen, besonderen Raum, ähnlich
der Spannung von zwei parallelen Tonarten.
1. Wenn man San Zanipolo wie ein nördliches Zentrum empfinden kann, so doch noch als
ein lebendiges, bewohntes. Ihm gegenüber steht einerseits die Hölle Giudeccas, und andererseits
die Toteninsel San Michele, dessen Vorhof San Zanipolo ja eigentlich ist (die Grabmonumente
in der Kirche neben dem Krankenhaus - mit einem bezaubernden Blick auf den
Friedhof). Nach Kodussis Entwurf wurde die wunderschöne Mauer gebaut, die die Toteninsel
umringt, er schuf auch die Friedhof-Kirche mit ihrem friedlichen, tröstenden Umriss…
Vielleicht kein Zentrum, kein Magnet, wohl aber - die Endstation.
Es gibt auch eine eigene Wüste in Venedig, wo, so scheint es, weder das Wetter sich ändert
noch die Himmelsfarbe. Vielleicht tragen zu den Wüste-Assoziationen die drei steinernen
Mohren bei und das Kamel auf einem Relief an den benachbarten Häusern… aber sie sind
nicht entscheidend. Die Madonna del Orto (Gartenmadonna) ist ein Ort der Stille, Kummer
und Erwartung. Die uralte Statue selbst, nach der die Kirche genannt wurde, ist unvollendet
geblieben: Materie, die mitten in dem Geist-Werden stehen geblieben ist, und noch auf ihre
Vollendung wartet. Geist und Materie stehen nebeneinander auf dem Bild Tizians, als der
Engel in der ganzen Vollkommenheit seiner schönen schwungvollen Bewegung sich in die
alltägliche Realität des verwirrten, etwas schweren Jungen - Tobias’ Enkels - mit seinen beiden
Tieren, dem toten Fisch und dem lustigen Hund, eindringt.
Die Protagonisten auf dem erstaunlichen Bild Cimas sind vereinsamt und angespannt. Johannes
hört etwas - die Frohe Botschaft? die Schritte des Wiedergekommenen? - die anderen
hören aber nichts. Sie warten, und sind angespannt; Paulus ist bereit sich zu verteidigen
vor einem unerwarteten Angriff, Petrus hält verwirrt die Schlüssel, die zu keinem Schloss zu
passen scheinen. Nicht weit entfernt dient die berauschte Menschenmenge bei Tintoretto
dem goldenen Kalb.
Abgeschiedenheit - einsames Mädchen, Maria, sich selbst überlassen, auf der hohen Tempeltreppe,
mitten in der Kirche, mitten in der Stadt, mitten in der Welt. Und der heilige
Chrisophorus auf dem Portal schaut in die Ferne: ich suche einen Menschen!
1. Komplex ist das Muster, das die Wellen bilden, wenn man einen Stein ins Wasser wirft.
Und wenn es mehrere Steine gleichzeitig sind? Und der von ihnen ausgehende Impuls nie
schwächer wird? …Die Knoten, Zentren des Venezianischen Raums generieren nicht nur
den Raum selbst, sondern so etwas wie weitere, zusätzliche Zentren, Begleiter, Fantome,
wobei alle sich auf mehrere originale Zentren beziehen.
Als erstes denkt man da an die Carmini-Kirche, deren Altarbild eine alte Kopie Tizians Assunta
ist, und deren Ausgang die Kopien von Sansovinos Charita und Speranza aus San Salvador
schmücken. Man findet hier auch Parallelen zu anderen Zentren (wie z. B. die Gestaltung
der Bögen, die an die Neuen Prokurazien erinnert), und im gewissen Sinne befindet
sich Carmini auf einer Linie mit San Zanipolo: hier wie auch dort hängen Meisterwerke
Cimas und Lottos - die ja auch miteinander verbunden sind - in unmittelbarer Nachbarschaft.
Hier entstehen dann auch direkte Verbindungen zu San Giovanni in Bragora und San
Giacomo dall’orio… Und der Junge auf dem Bild Tizians in der Madonna del Orto hat seinen
Prototypus hier auf der Sacra conversazione Cimas.
Bilder und Statuen können den Ort, in dem sie sich befinden, in ein Zentrum oder einen
wichtigen „Satelliten“ verwandeln. So ein Ort ist die Kirche San Salvador, wo Sansovinos
Plastik neben der berühmten späten Verkündigung - Aufruhr, Herzensangst, Zärtlichkeit -
Tizians steht, ebenso die kleine Kirche vom heiligen Giovanni Chrisostomo, ein Meisterwerk
Codussis, der einen großartigen Bellini (die Komposition dieses Bildes mit dem in der
Ferne sitzenden heiligen Hieronymus hat der junge Tizian in seinem „Durchbruch-Bild“ -
der heilige Markus auf der Empore - übernommen) und einen Sebastiano del Piombo beherbergt.
Und wenn die Tintoretto-Liebhaber zweifellos das Zentrum der Welt in der Madonna del
Orto sehen - dort sind seine schönsten Werke, die er für seine Hausgemeinde schuf, zu bewundern,
so wird für die Anhänger der gentilezza das Zentrum der Welt in der Kirche des
heiligen Sebastian liegen, die nahezu vollständig von Veronese - in seiner Höchstform - gestaltet
wurde, den unübertroffenen Meister des guten Geschmacks, der noblen Leichtigkeit
und des richtigen Maßes (wurde vielleicht die zurückhaltende Grazie seiner Figuren durch
die byzantinischen Vorbilder beeinflusst?).
In der Mendikanti-Kirche werden diese Gegenpole (Tintoretto und Veronese) buchstäblich
gegenüber gestellt. …Und als eine Spiegelung von Frari und San Zanipolo entsteht die dritte
in der Reihe der großen gotischen Kirchen, Santo Stefano (wobei sein Ziegelsteinmuster
an den Dogenpalast denken lässt, und die Altar-Figuren an die Basilika San Marco).
Es gibt in Venedig auch ein „Anti-Zentrum“. Das Kloster San Giorgio versucht sich in die
gleiche Reihe mit der Basilika und dem Palazzo Ducale zu stellen, ist ständig sichtbar, erinnert
eindringlich an sein Dasein und bietet auch dem Glockenturm von San Marco eine Alternative.
Das ist eine Antithese zum venezianischen Schönheitsideal, die Palladio als ein
Denkmal für seine Pläne, die ganze Stadt umzubauen, gelassen hat. Ein Raum, der in seinen
Proportionen so vollkommen ist, dass er keinen Platz weder für die Menschen noch für Gott
lässt; unbewohnt, wie ein Mond, weder warm noch kalt, ein Spiegelsystem, in dem man
sich nicht widerspiegelt, das, so scheint es, vor der Zeit - vor der Beobachtung - entstanden
ist und sich einer Beobachtung auch nicht öffnen will (also unsichtbar bleibt).
Die drei weißen Fassaden, die Giudecca dominieren, sind wie mehrere auf einander gelegte
Flächen, die hinter sich keinen Zusatz - keine Gebäude - brauchen; es scheint, sie spiegeln
die Schneegipfel der Alpen wider.
Dabei wollten und konnten Palladios Zeitgenossen wie auch seine Nachfolger, so stark sie
auch unter seinem Einfluss standen, den Venezianischen Geist bewahren. Die runde Basilika
von Santa Maria della Salute, die den Großteil Venezianischer Stadt-Landschaften dominiert,
kann vielleicht die palladianische menschenlose Kälte (…nein, keine faschistische…)
nicht besiegen, belebt und wärmt sie aber mit ihrer Mannigfaltigkeit an Details und ihrer
rhythmischen Mehrstimmigkeit. Dieser großartige Bau beherbergt auch noch wunderbare
Meisterwerke von Tizian (und nicht nur!), und doch kann man sie kaum als ein wahres Zentrum
der Stadt sehen… So einen wie z. B. die winzige und zerbrechliche Miracoli, eine Kirche,
die als ein Rahmen für eine wundertätige Ikone ausgedacht wurde, und die jedes Mal,
wenn man sie sieht, wie durch ein Wunder auf dem unspektakulären Platz sich zu materialisieren
scheint - entweder über einen Kanal gerade angekommen, oder vom Meeresgrund
aufgetaucht.
1. Wo ist denn das Herz Venedigs? Für mich ist es die Kirche San Francesco della Vigna
(am Weinberg), ein etwas ungeschicktes Gebäude im Palladianischen Stil, wo in jeder der
zwölf (oder sind es mehr?…) Kapellen sich ein Schatz verbirgt. Man findet hier ein Musterbeispiel
für alle Stile und Richtungen der Venezianischen Kunst, mit einem Byzantinischen
Relief angefangen über die frühen Venezianischen Ikonen bis zu den Meisterwerken von
Veronese und Familie Lombardi. Es fehlt nur Tizian, dafür versteckt sich in einer dunklen
Ecke eine großartige Giorgionesca, ein Bild von einem Schüler Giorgiones (früher für eine
Originalarbeit des Meisters gehalten); auch Tintoretto ist durch schöne Nachahmung vertreten.
Ein Spätwerk Bellinis, kontrastvoll und unendlich sanft (die Landschaft hier könnte
Giorgione inspiriert haben) verbindet diese Kirche mit den anderen zwei Zentren, Frari und
San Zaccaria. Das Zentrum der Kirche (der Stadt) ist allerdings eine Madonna im Garten
des Franziskaners Antonio da Negroponte, von dem man nichts weiter weiß, als dass er dieses
in der gesamten Kunstgeschichte einzigartige - in seiner Schönheit wie in seiner Originalität
- Bild geschaffen hat. …Das Bild wurde irgendwann ergänzt mit einer Lunette, die,
meiner Beobachtung nach, ein abgeschnittener Teil eines Bellini-Bildes aus der benachbarten
Kirche der Malteser ist (Taufe Christi - ein Bild, das ein Pendant zu dem sehr ähnlichen
Bild Bellinis aus Vicenza darstellt, wobei, vergleicht man die beiden Bilder, die Unvollständigkeit
des Malteser-Bildes offensichtlich wird -, genauso wie die Übereinstimmung der Ergänzung
aus San Francesco mit dem entsprechenden Teil des Vicenza-Bildes).
Venedig ist das Paradies, und den Paradiesgarten kann man hier auch direkt erblicken - Bruder
Antonio sei gelobt!
1. Venedig ist das Zentrum der Lagune mit seiner Stille und dem Licht (oder ist ihr Zentrum
doch Torcello?). Und mit ihrer Wasser-Bewegung, dem sichtbaren Äquivalent der Zeit.
Diese Stadt mit ihren Zentren ist ein Spinnennetz, dazu gewoben, die Zeit ein zu fangen.
Die Arbeit Dutzender Generationen, die die Tradition so aufrecht erhalten haben, dass sie
sich immer erneuern konnte (in jedem anderen Ort, jeder anderen Epoche ist es nur zwei,
drei Generationen gelungen). Gebäude, Bilder, Techniken, Elemente, Sujets (allein die unterschiedlichen
Ultima-cena—Darstellungen von Tintoretto findet man in Venedig in sieben
Kirchen… oder mehr?) - das sind die Knoten des Netzes, die mit höchster Spannung die
Ruhe und Unveränderlichkeit anstreben. Ein Mal und für immer, egal wie oft du in das ewig
bewegliche Wasser steigst, ist das Kind beim Ausrutschen vom mütterlichen Schoß erstarrt,
ein Mal und für immer kniet der Kapitän Vittore Capello vor der Heiligen Elena auf dem
Portal der ihr gewidmeten Kirche. Hier kann es dir gelingen, der Achse Vergangenheit-Gegenwart-
Zukunft zu entkommen und die Bewegung in den Gravitationsfeldern erlernen, an
der man in der Musik Bachs, Schuberts, Mozarts, Haydns, Bruckners teilnehmen kann. Das
Neue entpuppt sich als das Alte, und die Gegenwart hört auch dich mit ihrer Unfassbarkeit
zu quälen.
…Und solange es noch ein einziges Paar Augen existiert, die die Schönheit sehen können,
wird das Urelement die Stadt nicht für sich gewinnen können - wie es mit dem Schuberts
Geselle gemacht hat.
Das Gefühl, in einem Zentrum zu sein, habe ich mir zum ersten Mal in der Kirche Santa
Maria Formosa bewusst gemacht. Gleichzeitig habe ich meinen Drang verstanden, ständig
in dem Labyrinth Venedigs unterwegs zu sein: es ist das physische Äquivalent zum Erleben
der Musik (auch der eigenen) als einem Fließen im komplexen polyzentrischen Raum mit
seinen Strudeln und sich überlappenden Flächen. Das Interieur der Formosa ist ein Spätwerk
Kodussis (wobei die blasse Fassade schon nach seinem Tod entstanden ist), und in der
Kirche kann man ein rührendes Triptychon von Vivarini bewundern, ein Meisterwerk von
Palma Vecchio (das sich vielleicht in einem Dialog mit dem Bellini aus San Francesco befindet)
und die Ikone, die an der Lepanto-Schlacht teilnahm. Aber zu einem Zentrum wird
die Formosa ausgerechnet durch die Konstruktion ihres Innenraums. Ein einfaches Quadrat,
ein Kubus verwandelt sich in eine Wunderblume. Das Horizontale und das Vertikale, das
Gerade und das Senkrechte, die Linie und der Halbkreis vereinen sich hier in ein harmonisches
Ganzes, das überschaubar ist und doch fast zu komplex um es in Gedanken abstrahieren
zu können. Das Spiel der Proportionen und Richtungen wird durch die Bewegung der
Bögen und inneren Fenster geschaffen, die gleichsam den leeren Raum umreißen -, wie
eine architektonische Manifestation des Spinnennetzes aus Stille und Licht, das die Zeit einfängt.