Ich liebe diese Sonate, kann aber die Gefühle derer, die eine gewisse Abneigung gegen sie
empfinden, nachvollziehen. Vor allem wegen des zweiten Satzes, der ein wenig wie ein
Pflichtübung anmutet: Es muss ja unbedingt zwischen der Einleitung und dem Wendepunkt auch ein
Geschehen geben, und eine belohnende Offenbarung muss erst genug ersehnt, erkämpft und mit
Leid verdient werden.
Die Welt der Sonate, scheint mir, ist die spezifische Welt einer esoterischen, süßen, französisch-
katholischen Erotik, eine Welt, deren Grenzen ungefähr zwischen dem unerträglichen
Weihnachtsoratorium von Saint-Saëns und dem großartigen Franziskus von Messiaen liegen.
Die Musik von Franck besitzt aber eine eigenartige, wunderbare Reinheit, obwohl man bei jedem
Schritt in der Sonate selbstverständlich dem wagnerschen Tristan begegnet. Eine weitere, eigene
Variante des Liebestodes – des unendlichen Verlangens, einer Sehnsucht, eines Sich-Aufhebens,
mystisch-erotischer Vorahnungen: Ich würde sagen – an die Jungfrau Maria gerichtet!
Der beste Zugang zu der Sonate, ist, sich Klarheit über alle ihre Themen zu verschaffen, wann sie
erscheinen, wann sie sich wiederholen, aus welchem Satz sie in welchen Satz übergehen, wie und in
welchem Kontext sie wieder auftauchen. So lässt sich leicht die Dramaturgie nachvollziehen: von
den fast scriabinschen Rufen, Sehnsüchten und Vorahnungen am Anfang zum naiven, kindlichen
Reinwaschen am Ende. Die ersten beiden Sätze versuchen sich von dem Weltlichen, Materiellen
schmerzvoll los zu reißen, kultivieren eine Art süße Hoffnung auf Erlösung. Der dritte Satz – der
Höhepunkt – ist ein Hinübertreten in die Sphäre des Übernatürlichen. Dabei sieht man auch die
zwei Gruppen von Themen in der Sonate. Die erste, die quasi zu der beweglichen, emotionell
angespannten Sphäre des Ich gehört: das sind alle Themen der ersten beiden Sätze und die
Rezitative aus dem dritten Satz; diese Themen kann man unendlich emotional, leidend, erotisch
gestalten. Und die andere Gruppe: das sind die zwei Themen, die man auf eine komplett andere Art
und Weise spielen sollte, streng, ein- fach und erhaben – die beiden Themen aus dem dritten Satz.
Es sind zwei Phrasen, die, wie mir scheint, ein Orakel verkünden, vielleicht durch die Mutter Gottes
von Lourdes: Zunächst die einfache, fromme, demütige und mitleidvolle Melodie in fis-Moll (T.
59–68), und danach die kraft- und schmerzvolle, zornig-warnende Melodie in den Takten 71–79.
Zwei prophetische Sätze, zwei Wahrheitsformeln.
Die Gestaltung der Sonate als Ganzes hängt sehr stark davon ab, wie der Pianist die Atmosphäre des
dritten Satzes von Anfang an zu schaffen vermag: etwas, das gleichzeitig an wagnersche
Zauberhöhlen und an die weihrauchgeschwängerte Dunkelheit einer gotischen Kathedrale erinnert;
Kerzenlicht und feierliches Nachhallen. Im letzten Satz haben die beiden Spieler zunächst (der
Kanon vielleicht als Symbol der Unendlichkeit) die wunderbare Möglichkeit, die lange pastorale
Melodie einfach und unprätentiös auszusingen, wie ein Hirte auf seiner Flöte, unter dem Motto:
Selig sind die, die arm sind vor Gott, Selig sind die, die ein reines Herz haben, und dann das erste
„Marien- Thema“ liebevoll wie mit Blumen zu schmücken. Der ganze erste große Abschnitt des
Satzes soll in diesem leichten, heiteren und naiven Charakter gespielt werden, die polkaartige
Reminiszenz der Musik des ersten Satzes dabei einschließend. Im Mittelteil sorgt das zweite
„Marien-Thema“ mit seinem eindringlich warnenden Charakter für eine bedrohliche,
gewitterschwere Atmosphäre, und wie ein Versprechen auf ein Wiedersehen in einer besseren Welt
erscheint für einen kurzen Augenblick das erste „Marien-Motiv“ hymnisch in C-Dur (!) wieder. Das
wiederkehrende Hauptmaterial des Satzes soll dann bis zum Ende, ohne gewohntes falsches Pathos,
klar und rein erklingen.