Atem

War jemals eine Trauer so wie die?
Schwieg Trauer-Totenstarre jemals so? Nie, nie
Hockt Hiob Aussatz bergend unterm Schurz
Mit solchem Schweigen neben Schutt und Sturz.
Nur dieser Storch ist Trauer. Wie er steht
Auf dem gefärbten Fadenbein! Er dreht
Den Hals hinab. Und waagrecht leidend spürt
Des Schnabels Adel Erde, die er nicht berührt.
So starrt der Storch da schief und weggewandt
Von Frosch und Wurm, die hinhält eine Hand.
Und nur die lahme Flügel-Schulter zuckt,
Wie am Schafott sich armer Sünder duckt.
Doch dies ist kaum ein Blinzeln, das sich regt,
Reglos steht er ins Ewige bewegt.

Kann so ein Auge trauern? Ungetrost
Ein glimmend schwarzer Stein und tränenlos?
Dem nie ein Lid mehr den Verlust verschließt,
Den es nicht oben und nicht unten liest,
Ins Fremde schauend, wo kein Aug' mehr sieht,
Doch schauender erkennt: »Kein Flug geschieht
Mit langem Schlagen mehr. Kein Flug, kein Flug,
Da ausgespannte Kraft gebogene Grazie trug
Der Beine unterm Schwung. Und auch das Reich
Durchstelzt durchnickt mein Bild nicht mehr am Teich ...«
War jemals dieser eine Trauer gleich?
Und starrte je ein Wesen so wie dieser Sohn
Ägyptens, Fürst am Pharaonen-Thron?
Wie dieser Storch, der abwärtshalsend starrt
Unregsam in die fremde Gegenwart,
In rosa Fiebernebel, wo er sah
Der Isis Feuer und den Rauch des Ptah!





Ich ruhe in einer Pagode von Traum.
Meine Feinde schleichen am Waldsaum.
Sie sind wie von Nebel, gespitzt und schief.
Ich schlief mich in Weihrauch tief.
Meine Hand rührt sich ein Jahrtausend nicht,
Ich fühl' keinen Leib, nur ein dunkles Licht.
Mein Gesicht ist von blinder Schau versteint,
Fern stößt in sein Horn ein reitender Feind.
Ich hebe mein Bein nicht aus dem Moor,
Eine Glockenblume kitzelt und streift
Wie der Kuß eines Kindes mein rauschendes Ohr.
Ein Glockenwind in meine Krone greift.
Es atmet in mir ein Schallen lang,
Und Gesang ist mein Starren, mein Starren Gesang.

Ich ruhe in einer Pagode von Traum.
Tiefsinnige Flecken durchflicken den Raum.
Zwei Türen sehe ich offen stehn ...
Den rechten Himmel zerschwärzen Krähn,
Den linken goldrote Störche verwehn.
Die eine Türe heißt Lügnerin,
Die andere Türe heißt Wahnsinn.
Ich ruhe inmitten und rühre mich nicht.
Der Tierkreis umfitticht mein Moosgesicht.
Die Feinde lachen mit Waffengetös ...
Von Atem zu Atem dicht
Trifft mich ein rhythmischer Tropfen bös.

(Franz Werfel)