Fünf Zeiten für Geige - archaische, aphoristische Botschaften aus dem menschlichen Leben, faszinierende Erinnerungsfragmente an ferne Kinderlieder, Klagegesänge, auch an Johann Sebastian Bachs wunderbares Andante aus der Sonata II a-Moll BWV 1003. Boris Yoffes „Zeiten“ sind zeitlos und dadurch von suggestiver Aktualität: Sie entfalten einen ureigenen Kosmos von unerhörter Klangmagie jenseits aller Fragen vermeintlicher Modernität, im Hier und Jetzt vereinen sie mit schlafwandlerischer Selbstverständlichkeit die Errungenschaften vergangener Jahrhunderte abendländischer Musik.
In räumlich extrem reduzierter Ein- und Zweistimmigkeit entwerfen sie Szenarien von größter Eindringlichkeit, in denen Momente der Stille individuelle Assoziationen des Hörers gleichsam wachrufen. Ein dissonant-expansiver Aufschwung eröffnet den Zyklus - im 4. Stück fällt diese kraftvolle Geste in sich zusammen: Was bleibt am Ende? Ungelöste Fragen, Rätsel, in sich zurückgeworfene Spannungen - und in der Mitte des Zyklus (Nr. 3) doch die einzige auf -, ja erlösende Kadenzierung in leiser Reminiszenz an Bachs Andante…
Boris Yoffe gestaltet in seinen „Fünf Zeiten“ eine Musik, deren fragile Poesie der kleinsten Gesten am Rande des Schweigens ihn als geistigen Erben des großen Mordecai Seter auszeichnet.
Kolja Lessing
Oktober 2022